Mit ihren CO2-Emissionen veranstaltet die moderne Zivilisation auch ein gigantisches Chemie-Experiment in den Weltmeeren. Langsam wird klar, was dabei herauskommt. Es ist gruselig.
Zehn Jahre ist es her, dass die Whiskey Creek Shellfish Hatchery ein ernstes Problem bekam. Die Firma an der Küste des amerikanischen Bundesstaates Oregon ist spezialisiert auf die Aufzucht von Muschellarven, insbesondere der Pazifischen Felsenauster. Damit beliefert sie Dutzende von Austernfarmer der Region. Sie sind Arbeitgeber von insgesamt 3200 Menschen. Im Herbst 2007 aber starben die Austernbabys wie die Fliegen. „Wir vermuteten zuerst ein Bakterienproblem und desinfizierten alles“, notierte Alan Barton, der Produktionsmanager des Unternehmens, unlängst in einem Blog. Doch es half nichts. 2008 weitete sich das Problem aus, bis zu 75 Prozent der Produktion gingen verloren.
Austern waren die ersten Opfer – ganz ohne Zitrone. Foto: Design Pics / Loophotos
Heute kennt man den Grund: die Versauerung der Ozeane durch das Übermaß an Kohlendioxid, das die menschliche Zivilisation in die Atmosphäre pumpt. Von dort gelangt das Gas in die Meere und reagiert zu Kohlensäure. „An der Westküste Nordamerikas sind die pH-Werte aufgrund des Auftriebs nährstoffreichen Tiefenwassers, das entsprechend hohe CO2-Konzentrationen hat, von Natur aus niedrig“, erklärt der Meeresbiologe Ulf Riebesell vom Geomar Helmholtz-Zentrum für Ozeanforschung in Kiel. „Die zusätzliche Ansäuerung durch anthropogenes CO2 hat dazu geführt, dass der Toleranzbereich der Austernlarven überschritten wurde.“ Das Kürzel pH bezeichnet dabei ein Maß dafür, wie sauer oder alkalisch eine wässrige Lösung ist. Maximal sauer ist eine Flüssigkeit mit pH gleich null, maximal alkalisch mit 14, reines Wasser hat einen pH von 7. Vor Beginn der Industrialisierung und ihrer CO2-Einträge hatten die Ozeane einen mittleren pH-Wert von 8,2. Heute sind es noch 8,1. In dem aufsteigenden Wasser vor Oregon fiel er auf unter 7,75.
Es dauerte drei Jahre, bis Alan Barton mit Hilfe der Oregon State University und der amerikanischen Ozeanbehörde Noaa das Larvensterben aufklären und mit der Kontrolle der pH-Werte darauf reagieren konnte. Denn trotz der immer intensiveren Klimadebatte war „das andere CO2-Problem“ lange unerforscht geblieben. Selbst die Berichte des Weltklimarats IPCC erwähnen das Thema erst seit 2007. Zwar hatte Peter Brewer von Monterey Bay Aquarium bereits 1997 in den Geophysical Research Letters auf den Versauerungseffekt des Klimagases hingewiesen. „Aber jenseits der Meereschemie wurde das nicht wirklich wahrgenommen“, sagt Riebesell.
Und Hans-Otto Pörtner vom Alfred-Wegener-Institut in Bremerhaven ergänzt: „Erst mit früheren Überlegungen, CO2 im tiefen Ozean zu verklappen, kam die Frage auf, welche Auswirkungen das auf die Biologie der Meere hätte. Schließlich setzte sich die Einsicht durch, dass schon der Eintrag des CO2 aus der Atmosphäre Konsequenzen für die Ökosysteme hat.“
Heute ist die Ozeanversauerung das am stärksten wachsende geowissenschaftliche Forschungsfeld. In Deutschland haben Riebesell und Pörtner dazu seit 2009 den Forschungsverbund „Bioacid“ koordiniert, der in diesem Monat ausläuft und nun eine Übersicht über seine Ergebnisse vorgestellt hat, pünktlich zur Bonner Klimakonferenz. Die Versauerung ist nämlich die Kehrseite eines Effektes, ohne den die globale Erwärmung bereits gravierender wäre. Denn die Ozeane sind riesige Kohlenstoffspeicher. Sie enthalten 50-mal mehr dieses Elements als die Atmosphäre, wo die CO2-Konzentrationen mittlerweile auf 400 ppm geklettert sind; ppm steht dabei für „parts per million“: Von einer Million Luftmoleküle sind mittlerweile 400 Kohlendioxid. Vor Anbruch der Industrialisierung waren es 280, und ohne die Meere wären es heute bereits 455 ppm. Denn 30 Prozent des von Menschen bislang emittierten CO2 haben die Ozeane geschluckt. Allerdings wird das Seewasser dadurch nicht in gleichem Maße in sauren Sprudel verwandelt. Mit einem ursprünglichen pH von 8,2 sind die Ozeane von Natur aus leicht alkalisch. Das verdanken sie vor allem im Seewasser gelösten Salzen der Kohlensäure, den Carbonaten. Sie stammen überwiegend aus der Verwitterung von Gesteinen an Land und werden zusammen mit Ionen des Calciums beständig in die Meere gespült. CO2 dagegen bildet in Wasser Kohlensäure, die sogleich Protonen abspaltet. Diese machten die See sofort sauer, würden sie nicht von den Carbonat-Ionen größtenteils abgefangen. Ozeanwasser ist, wie Chemiker das nennen, eine Pufferlösung.
Für Austern und viele andere Meeresbewohner ist die abpuffernde alkalische Natur ihrer Heimat ein Segen. Denn aus überschüssigem Carbonat und dem Calcium bauen sie Schalen aus Kalk. Deswegen bekommen sie aber ein Problem, wenn der CO2-Eintrag in die Meere schneller steigt als die Verwitterung die alkalischen Ingredienzien nachliefern kann. Dann werden zu viele Carbonat-Ionen durch Protonen weggefangen und die Abscheidung von Kalk wird immer schwieriger. Ozeanversauerung bedeutet also nicht, dass sich das Meerwasser in eine Säure verwandelt, sondern dass es zu wenig alkalisch wird, um noch gesund für die Meeresbewohner zu sein.
Wann das für welche Lebewesen der Fall sein wird oder bereits schon ist, beschäftigt eine zunehmende Zahl von Meeresbiologen. Solche Fragen sind aber im Detail höchst verwickelt, denn die Versauerung ist nur einer von mehreren Effekten, mit denen unsere Zivilisation das Meer und seine Bewohner unter Stress setzt. Einige, wie Überfischung oder Eintrag düngender Agrochemikalien, haben mit den CO2-Pegeln nicht direkt zu tun. Zwei andere dagegen schon. Erstens das erwärmungsbedingt steigende Risiko für mangelhaften Austausch zwischen Oberfläche und tieferem Wasser, wodurch Sauerstoffknappheit droht. Und zweitens die Erwärmung des Meerwassers selbst. Die wird zum Beispiel von vielen Korallen schlecht vertragen, also einer Organismengruppe, die ebenfalls auf Kalkbildung angewiesen ist. Ausgerechnet die Korallenriffe mit ihrer überbordenden Artenvielfalt sind also doppelt betroffen.
Und um die Sache noch komplizierter zu machen, hängt auch die Versauerung selbst von der Temperatur ab. Und zwar in einer Weise, die tropischen Korallen zunächst recht sein kann: Kälteres Wasser versauert bei geringeren CO2-Pegeln – also leichter als warmes – , weswegen das Problem auch zuerst in einer Gegend wie der Küste Nordamerikas aktenkundig wurde, wo kaltes Wasser aufsteigt. Auch die anderen großen Auftriebsgebiete – vor Peru, Westafrika, Angola und Namibia – werden bei weiter steigenden CO2-Emissionen bald betroffen sein. Besonders hart wird es aber für Bewohner der Polarmeere. Sofern es nicht zu massiven Emissionsreduktionen kommt, herrschen bereits am Ende dieses Jahrhunderts CO2-Werte, die im polaren Oberflächenwasser die Kalksättigung verhindern. Das bedeutet: Die Protonen aus der Reaktion des CO2 mit Wasser nehmen derart überhand und lassen so wenig gelöstes Carbonat im Meerwasser zurück, dass dieses den existierenden Kalkschalen ihr Carbonat wieder wegnimmt: sie lösen sich auf.
Doch auch in den wärmeren Meeren wird der ungebremste CO2-Ausstoß der Menschheit den pH am Ende des Jahrhunderts auf Werte fallen lassen, die zusammen mit den anderen Stressfaktoren vielen marinen Faunengruppen das Leben schwermachen. Das beweisen nicht nur die Austernlarven in Oregon oder die Beispiele der oben gezeigten Tiere. Mittlerweile haben die Meeresbiologen – international und im deutschen Bioacid-Verbund – einiges an Daten darüber angehäuft, wie verschiedene Organismengruppen auf Versauerung reagieren. So hat man etwa in Australien Korallen künstlich einem Wasser mit vorindustriellem pH-Wert ausgesetzt und festgestellt, dass sie dann um sieben Prozent schneller wachsen. Umgekehrt gibt es beispielsweise vor Papua-Neuguinea Stellen am Meeresboden, die von allen kalkbildenden Lebewesen verlassen sind, weil hier austretendes vulkanisches CO2 das Seewasser punktuell bis auf einen pH von unter 7,7 versauern lässt.
Dabei bieten die Korallen noch ein recht heterogenes Bild. Einige sind ziemlich säureempfindlich, andere erwiesen sich als überraschend widerstandsfähig. Zwei Tierstämme kommen mit sinkenden pH-Werten viel schlechter zurecht: Die Mollusken, insbesondere Muscheln und Seeschnecken, sowie die Stachelhäuter, zu denen Seeigel und Seesterne zählen. Hier dürften viele Species durch Säuregrade, wie sie sich bei klimapolitischer Tatenlosigkeit um das Jahr 2100 einstellen, zumindest geschädigt werden. Weniger gefährdet sind dagegen Krebstiere, denn ihre Panzer bestehen weniger aus Kalk als aus Chitin. „Hinzu kommt, dass Crustaceen den pH-Wert ihrer Körperflüssigkeiten in der Regel besser regulieren können“, sagt Hans-Otto Pörtner. „Auch haben aktivere Tiere eines Tierstamms oft eine besser ausgeprägte Fähigkeit zur pH-Regulation.“
Feinschmeckern, die nun meinen, man müsse dann eben von Jakobsmuschel auf Hummer umsteigen, sei gesagt, dass auch die Nahrungskette unterhalb davon der Versauerung kaum entgehen dürfte. So ist es keine Entwarnung, wenn Fische weniger empfindlich zu sein scheinen als Weichtiere. Sie sind mobil, haben hochentwickelte Säure-Base-Regulatorsysteme, und ihre Skelette sind nicht direkt dem Meerwasser ausgesetzt. Aber Kabeljau, Lachs und Hering ernähren sich unter anderem von kleinen, freischwimmenden Schnecken, die eine fortschreitende Versauerung dezimieren wird.
Zu allem Überfluss verschärft das Versauern die Folgen der Erwärmung, indem sie die Aufnahme von CO2 durch die Ozeane drosselt. Umgekehrt macht saureres Seewasser viele Meeresbewohner weniger widerstandsfähig gegen die globale Erwärmung. Nun ist es bis zum Jahr 2100 noch etwas hin, und unterdessen steigen Wärme und Säuregrad ja nur allmählich. Besteht da nicht Hoffnung, dass sich so manche empfindliche Tiergruppe an die neuen Verhältnisse anpasst, wie es in der Erdgeschichte oft geschah?
Wenn überhaupt, kann das ein Blick in die geologische Vergangenheit beantworten. Dabei zeigt sich, dass pH-Werte um 7,7 herum, wie sie für das Jahr 2100 als globaler Durchschnittswert erwartet werden, nicht per se lebensfeindlich sind. In der Zeit der Dinosaurier lagen die CO2-Pegel der Atmosphäre um die 1000 ppm, die pH-Werte der Ozeane bei geschätzten 7,4 bis 7,8. Trotzdem war das eine Blütezeit kalkiger Lebensformen wie der Ammoniten, der Rudisten – bizarre Muscheln, die enorme Riffe bildeten – oder mikroskopischer Kalkalgen, deren Überbleibsel zum Beispiel die Felsen von Dover bilden und der Kreidezeit ihren Namen gaben. Die hohen CO2-Werte schadeten ihnen nichts, denn eine langandauernde Warmphase sorgte für intensive Gesteinsverwitterung und daher für viel Carbonat im Meer. „Kalkbildner interessiert vor allem das Vorhandensein von Carbonat- und Calciumionen“, sagt die Paläoozeanographin Bärbel Hönisch vom Lamont-Doherty Observatory der Columbia University in New York. „Solange das gegeben ist, ist ein niedriger pH nicht besonders interessant.“
Nun ist Gesteinsverwitterung aber etwas, das sich nur langsam ändert. Wird es global wärmer, dauert es 10 000 bis 40 000 Jahre, bis das einen verstärkten Eintrag von Carbonaten in die Meere nach sich zieht. Daher wird es für Kalkbildner kritisch, wenn sich die CO2-Konzentrationen in der Luft und damit im Meer auf kürzeren Zeitskalen erhöhen. Auch das gab es schon: An der Grenze vom Trias zum Jura vor 201 Millionen Jahren riss ein gewaltiger Graben auf, aus dem später der Atlantik wurde. Dabei kam es zu sogenannten Flutbasalt-Ereignissen, äußerst ergiebigen Vulkaneruptionen, die auch große Mengen an CO2 emittierten; die Werte kletterten damals auf bis zu 5000 ppm. Das Resultat war das drittschlimmste Massensterben der Erdgeschichte, dem auch 95 Prozent der Korallenriffe zum Opfer fielen.
Die CO2-Krise an der Tertiär-Jura-Grenze zog sich über etwa 600 000 Jahre hin, wobei einzelne Spitzen von 20 000 Jahren Dauer die Versauerung zwischenzeitlich verschärft haben mögen. Besser erforscht ist ein Ereignis vor 55,8 Millionen Jahren, das Paläozän-Eozän-Temperaturmaximum (PETM). Hinter dieser plötzlichen Erwärmung der Erdatmosphäre um 4 bis 5 Grad vermutete man lange Methanausgasungen aus bestimmten Meeressedimenten, den Methanhydraten, von denen auch heute wieder befürchtet wird, sie könnten sich plötzlich destabilisieren. Ende August aber konnte ein Team von Marcus Gutjahr von der University Southampton in Nature zeigen, dass hinter dem PETM wohl ebenfalls ein Flutbasalt-Ereignis steckte, diesmal zwischen Grönland und Norwegen. Durch Analyse von Bor-Isotopen, die Rückschlüsse auf den damaligen Oberflächenwasser-pH erlauben, muss es damals zu einer plötzlichen Versauerung des globalen Oberflächenwassers bis auf unter 7,5 gekommen sein. Und tatsächlich zeigen die Fossilienschichten jener Zeit ein massives Sterben kalkbildender Meeresbewohner, insbesondere bei Foraminiferen und Korallen, deren Riffvolumen auf ein Hundertstel einbrach. Die Forscher konnten auch die Gesamtmenge des ausgestoßenen CO2 berechnen und kamen auf 10 000 bis 12 000 Gigatonnen Kohlenstoff, was von der Größenordnung her grob der Menge der fossilen Brennstoffe entspricht, welche die Menschheit insgesamt verfeuern kann. Insofern könnte das PETM als nächstes erdgeschichtliches Analogon dessen gelten, was der Mensch gegenwärtig mit den Ozeanen anstellt.
Oder auch nicht. Denn wie sich zeigt, verteilten sich die CO2-Ausgasungen am Beginn des Eozän über mehrere tausend Jahre. Die Kohlenstoffemissionen betrugen höchstens 0,58 Gigatonnen pro Jahr – weniger als ein Zehntel der Rate, mit der die Menschheit gegenwärtig die Atmosphäre beschickt. Einen echten Parallelfall zu der aktuellen anthropogenen Änderung des Erdsystems gibt es also nicht. Jedenfalls nicht in den vergangenen 300 Millionen Jahren, aus denen Sedimente erhalten sind, anhand derer sich so etwas feststellen ließe. Noch nie seit mindestens 300 Millionen Jahren also sind Luft und Meer in so kurzer Zeit mit so viel CO2 belastet worden. Und während die langsame Verwitterung sowohl an der Trias-Jura-Grenze greifen und bis zu einem gewissen Grad vielleicht auch noch das PETM abmildern konnte, trifft die Säure die Ozeane diesmal ohne jede Chance auf zusätzliche Pufferung.
Diese in der Geschichte der Tierwelt nie dagewesene Geschwindigkeit trübt auch die Hoffnung auf Anpassung ganz erheblich. „Bei den Mikroorganismen wird das ganz gut klappen“, vermutet Ulf Riebesell. „Weil sie sich täglich fortpflanzen und gleichzeitig zu Hunderttausenden pro Liter vorkommen. Aber viele höhere Lebewesen pflanzen sich nur einmal im Jahr fort. Das wird vermutlich nicht ausreichen, um sich anzupassen.“
Wenn Meeresbiologen und andere Freunde artenreicher Unterwasserwelten noch auf etwas hoffen können, dann ist es ein Wunder in der Klimapolitik. „Etwa die Hälfte der tropischen Korallenriffe kann erhalten werden, wenn die Kohlendioxid-Emissionen so begrenzt werden, dass die globalen Temperaturen um nicht mehr als 1,2 Grad Celsius ansteigen“, heißt es in der soeben erschienenen Veröffentlichung des Bioacid-Verbundes. „Hierbei sind aber zusätzliche Risiken etwa durch Ozeanversauerung noch nicht einbezogen.“ Beim Bonner Klimagipfel geht es derzeit darum, wie es zu schaffen ist, einen Anstieg auf 2 Grad zu begrenzen.
Ulf Von Rauchhaupt, Frankfurter Allgemeine, 28 November 2017. Article.